Garten-Gedanken

 

Eigentlich sollte ich an meinem neuen Roman weiterschreiben, aber ich sitze in meiner Hütte und der Blick auf die Landschaft hinaus lenkt mich in seiner Fülle und Grüne ab. Ende Mai ist die Zeit, wo ich jedes Jahr vor Ehrfurcht und Begeisterung niederknien könnte, weil alles so grün und üppig und blühend ist.

 

 

Seit zwölf Jahren leben wir nun hier auf diesen 7 ha Grund, und dieses Stückchen Land hat mich viel gelehrt. Die Veränderungen, die die Landschaft im Jahreszyklus durchläuft, sind Lehrmeister im Kreislauf des Lebens. Die Verändeurngen, die die Landschaft im Laufe der zwöf Jahre erlebt hat, zeigen mir, dass Wandel die einzige Konstante ist.

 

 

Interessante Lehren haben mir auch die Nussbäume aufgezeigt. Wir haben von 2009-2011 etwa 100 veredelte Walnussbäume gepflanzt. Veredelte, da sie im Gegensatz zu wild aufgegangenen sicher Ertrag liefern (bei den wilden trägt etwa die Hälfte niemals Nüsse). Es gibt nicht viele Baumschulen, die Walnüsse veredeln, für Österreich befindet sich die Hauptquelle im Waldviertel. Ein wenig erinnern mich die jungen Bäume an Schulkinder. Sie wurden zurechtgestutzt, sollen durch die Veredelung den wirtschaftlichen Ansprüchen dienen, die ersten Jahre werden sie mit Mausgitter und Zaun vor den Härten des Lebens (sprich: Wühlmäuse und Rehe) geschützt, und dafür sollen sie bitte möglichst rasch möglichst viel Ertrag liefern. Und wie bei Schulkindern kann man auch bei Walnussbäumen gut und gerne mit 12 Jahren rechnen, bis sie richtig produktiv werden. Die ersten Jahre kämpfen sie mit der Umstellung. Die Böden im Waldviertel sind ganz anders als bei uns. Wir haben bestimmt, wo sie zu stehen haben, sie wurden nicht gefragt. Manche scheinen die letzten zehn Jahre kaum gewachsen zu sein, manche haben sich recht gut entwickelt. Sie mussten Prüfungen bestehen, wie die beiden Spätfrostjahre, sie sind tendentiell anfällig für Krankheiten, vor allem nach den Frösten. Manche sind “Versager” und werden wohl nie große Bäume werden. Manche entwickeln sich nun gut. Ihre Entwicklung zeigt auch, dass wir oft nicht sehen, was sich tut, dass wir denken, es geschieht nichts, sie wachsen nicht, weil wir nicht sehen, was sich in ihrem Wurzelwerk abspielt und plötzlich dann, wie von einem Tag auf den anderen, machen sie einen Sprung und wachsen und sprießen, wenn ihre Basis, ihr Wurzelwerk, endlich stark genug ist.

 

Ganz anders die Wilden, und vor allem sie lehren mich viel. Überall auf unserem Grundstück gehen immer wieder wilde Nussbäume auf. Aber vor allem zwei in unserem Obstgarten haben mich beeindruckt. Sie sind vielleicht fünf Jahre alt, also viel jünger als die veredelten. Und überragen sie um ein großes, großes Stück. Ihr Stamm ist viel dicker, ihre Kronen dicht. Sie wurden nie umgepflanzt, versetzt, zurückgeschnitten, veredelt oder auch nur mit einem Pfosten gestützt, mit Mausgitter und Zaun geschützt. Sie scheinen viel mehr Kraft in sich zu tragen als die veredelten. Der eine trug letztes Jahr bereits reiche Ernte. Der andere keine einzige Nuss, kann sein, dass er nie tragen wird, kann sein, dass es noch Geduld braucht. An ihnen zeigt sich wahrlich die unbändige Kraft, die Mutter Natur ihren Schützlingen schenkt. An ihnen zeigt sich aber auch die Bedeutung von Zufall, Schicksal, Glück. Eine Nuss musste dort im Obstgarten zu Boden fallen – von einem Vogel verloren, oder einem Reh ausgespuckt, wer weiß. Sie musste auf ein Stück Boden fallen, dass passend war, und musste den Winter überstehen, ohne von Mäusen oder anderen Tieren gefressen zu werden. Als sie ihre Wirzeln in das Erdreich schlug und einen ersten zarten Trieb gen Himmel reckte, musste sie das Glück haben, nicht der Sense zum Opfer zu fallen. Kein Reh durfte Gefallen an dem zarten Grün finden (unsere Schafe haben einigen Nussbäumen zugesetzt, denn auch wenn das Nusslaub nicht zu ihren bevorzugten Futterquellen gehört, als Heilmittel fressen sie es gerne, wenn sie unter Parasiten leiden). Dafür konnten sie sich nun nach ihrer eigenen Natur entfalten. (Aber auch sie müssen akzeptieren, dass sie immer ein Nussbaum sein werden, nie eine Kirsche oder Birne.)

 

 

Ich könnte nicht sagen, welchen Weg ich als Nuss gehen würde wollen. Aber es lässt mich als Mensch doch viel über die Welt nachdenken. Über unser Kontrolldenken. Über unsere Verleugnung dessen, dass so vieles unser Leben bestimmt, das wir nicht kontrollieren können. Dass es Geduld braucht und gutes Wetter, damit etwas zur Reife gelangt (wie heißt es so schön? “Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht”). Dass man “seinen Platz” finden muss, um zu gedeihen. Und dass die Kraft aus dem Boden kommt, auf dem wir leben.

 

 

Und dieses große Grün vor meiner Hütte, das mich vom Arbeiten abhält, mit all seinem vielfältigen Vogelgezwitscher, den unzähligen Arten an Insekten, die meinen Blick immer wieder auf sich lenken in ihrem Variantenreichtum, den hunderten Sorten Gras (das derzeit brusthoch steht, obwohl wir viel zu wenig Regen haben) … all das erfüllt mich mit Seligkeit, Dankbarkeit und Wehmut. Wehmut, weil dieses kleine Stückchen Wildnis inmitten dieser Intensivobstgemeinde mir vor Augen führt, wie viel Wildnis, Schönheit und Vielfalt wir jeden Tag weltweit opfern.

 

Für Palmöl. Parkplätze, Shoppingcenter. Autobahnen, Flughäfen, Luxus.

 

Weil wir uns über die Natur stellen. Weil wir glauben, es besser zu wissen. Weil wir keinen Bezug mehr zu ihr haben. Weil es Geduld erfordet und Ergebenheit, sich auf die Natur einzulassen. Keine Ahnung, warum.

 

 

Ich weiß nur, dass Mutter Natur großartig ist. Atemberaubend (sagt die Frau mit dem Heuschnupfen), wunderschön, durchaus auch grausam. Und ich finde, so wie jeder Politiker ein Jahr lang auf Mindestlohnbasis in einem pflegenden oder produktiven Beruf arbeiten sollte, so sollte jeder Großkonzernbesitzer, Bildungsminister oder Straßenbauer viel, viel Zeit in der Natur verbringen, ohne Luxus, Schnokes oder anderen Hilfsmitteln als einer Kamera, um sich diese Schönheit vor Augen zu führen.

 

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