Die Geburt der Sonne

Es ist ja nicht nur Weihnachten, sondern auch Sonnwend

 

Es war einmal, vor langer, langer Zeit mitten im Winter und die Sonne war alt geworden.

Das ganze Jahr über hatte sie sehr schwer gearbeitet. Jeden Morgen aufgehen, abends untergehen. Aufgehen. Untergehen. Tag für Tag. Das ganze Jahr über hatte sie alle auf der Erde genährt, hatte geschienen und geschienen, Energie geschickt für die Bäume und Blumen und Gräser, damit sie wuchsen und die Tiere und Vögel und Insekten und Menschen ernähren konnten.

Das ganze Jahr über hielt die Schwerkraft der Sonne den drehenden Erdenball, den Mond und die anderen acht drehenden Planeten in ihren Umlaufbahnen, während sie rund und rund und rund um die Sonne kreisten, bis die arme Sonne schon ganz schwindlig war vom Zusehen.

Nun schaffte es die arme müde Sonne kaum hinauf in den Himmel am Morgen, und nach einer kurzen Zeit musste sie schon wieder schlafen gehen. Die Tage wurden immer kürzer, die Nächte länger, bis der Tag so kurz war, dass es sich kaum auszahlte, aufzustehen.

Nacht hatte Mitleid mit der Sonne.

”Komm in meine Arme und ruh dich aus, Kind“, sagte sie. ”Immerhin bin ich deine Mutter. Du wurdest aus meiner Dunkelheit geboren, vor Millionen von Jahren, und du wirst zu mir zurückkehren, wenn alles endet. Lass mich dich nun wiegen, wie ich alle Galaxien und Sterne im Universum schütze.“

Also schlang Nacht ihr langen Arme um die Sonne und die Nacht war wahrlich sehr lang.

”Warum ist es so lange dunkel?“ fragten die Kinder auf der Erde. ”Kommt die Sonne niemals wieder?“

”Die Sonne ist sehr müde“, sagten die Alten. ”Aber vielleicht, wenn ihr Kinder Danke sagt für all die Dinge, die die Sonne für uns tut, vielleicht kommt dann das Licht am Morgen wieder.“

Die Kinder sangen Lieder für die Sonne. Sie dachten an all die Dinge, die die Sonne für sie tat: ”Danke, dass du den Salat und den Weizen wachsen lässt. Und danke, dass du heuer den Spinat verbrannt hast.“

”Danke für das Wachsen der Bäume und der Algen. Danke, dass du die Luft bewegst und Wind machst, der den Regen bringt.“

Jedes Mal, wenn ein Kind danke sagte, fühlte sich die Sonne ein wenig wärmer, ein wenig heller. Sicher eingehüllt in den Armen der Nacht wurde die Sonne wieder jünger.

Zu guter Letzt mussten die Kinder zu Bett gehen.

”Wir werden aufbleiben und auf die Sonne warten.“, sagten die Alten.

”Können wir nicht auch aufbleiben?“ fragten die Kinder.

”Ihr könnt es versuchen, aber wenn ihr zu müde werdet, dann könnt ihr alle eine Kerze anzünden, denn jedes Feuer ist ein Funken der Sonne, und diese Kerze wird für euch Wache halten, wenn ihr schlaft und den Sonnenaufgang herbeiträumt.“

Also entzündeten die Kinder Kerzen und stellten sie an einen sicheren Platz – nicht, dass sie den Sonnenaufgang verpassten, weil das Haus abbrannte.

Und die Sonne lugte zwischen den Armen der Nacht hervor und sie sah die kleinen Kerzenflammen und fühlte sich jünger und wärmer und heller.

Zeitig am Morgen weckten die Alten die Kinder. Zusammen kletterten sie auf den höchsten Hügel und blickten nach Osten. Sie sangen Lieder und tanzten herum, um sich warm zu halten. Sie warteten und warteten, um zu sehen, was der Morgen brachte.

Der Himmel verfärbte sich von Schwarz zu Indigoblau. Langsam wurde es heller. Ein goldener Schimmer kroch über den Horizont. Nacht öffnete ihre langen Arme und in einer Explosion von Helligkeit erschien die Sonne, neu und stark.

Alle jubelten und die Kinder hüpften auf und ab.

”Die Sonne ist zurückgekehrt! Die Sonne ist wiedergeboren!“ riefen die Leute. Und sie tanzten und sangen und feierten die Geburt des neuen Tages. Und dann gingen sie heim, um zu frühstücken.

(MW nach einer Geschichte von Starhawk)